Der Autor der hochdeutschen Aussprache ist vor 150 Jahren geboren

Während sich die Rechtschreibung in Deutschland seit dem 18. Jahrhunderts größtenteils stabilisierte, sprach jedermann bis zum Ende des 19. Jahrhunderts, wie ihm der Schnabel gewachsen war. Es fehlte eine einheitliche Aussprachenorm, so dass der Kaiser Berlinisch sprach und der sächsische König mit einem starken regionalen Akzent. Auch Intellektuelle sprachen wenn nicht direkt Dialekt, dann wenigstens mit einer starken Lokalfärbung.

Der Germanist Theodor Siebs (1862–1941) nahm sich der Aufgabe an, eine einheitliche deutsche Theodor SiebsAussprache zu schaffen. Sein fachkundiger Wirkungskreis war umfangreich: er war Begründer der Frisistik, unterrichtete deutsche Literatur, beschäftigte sich mit der Kirchenmusik, Folkloristik, Volksliedern, Dialektologie, gab heraus oder beteiligte sich an der Herausgabe von Wörterbüchern, einer Sagensammlung und vielen weiteren Werken. Seine Familie stammte aus Friesland, er selbst kam in Bremen zur Welt. Siebs studierte und verweilte in verschiedenen Teilen Deutschlands: in Tübingen, Leipzig, an der Ostseeküste in Greifswald und im schlesischen Breslau.
Siebs erkannte das Problem der uneinheitlichen deutschen Aussprache bei den Theaterleuten: Sie reisten durch ganz Deutschland, und das Publikum hatte in unterschiedlichen Teilen des Landes einmal größere, einmal kleinere Schwierigkeiten, sie zu verstehen. Deshalb gründet er im Jahr 1896 eine sechsköpfige Kommission, die mit Theaterintendanten und befreundeten Kollegen – Germanisten besetzt ist, um das Konzept einer einheitlichen Aussprache zu erstellen.

Im Jahr 1898 erscheint sein Aussprachewörterbuch „Deutsche Bühnenaussprache“, das auf den Ergebnissen der Arbeit der Kommission basiert. Obwohl es dem Namen nach für die Theaterschauspieler bestimmt ist, geht es Siebs in Wirklichkeit vom Anfang an um die Kodifizierung der deutschen Aussprache – im Vorwort der 2. Auflage argumentiert er mit dem Bedarf der Wirtschaft, des Verkehrs und Schulwesens.

Trotz der erstmaligen Ablehnung wird aus diesem Werk das Standardaussprachewörterbuch der deutschen Hochsprache. Seit dem Beginn der Rundfunksendungen in Deutschland im Jahr 1923 hielten sich die Sprecher an Siebs Norm. Im Jahr 1931 erschien sogar eine Sonderausgabe dieses Wörterbuchs zur Rundfunkaussprache.

Nach dem 2. Weltkrieg wurden Wörterbücher herausgegeben, die in die Fußstapfen von Siebs Wörterbuch in verschiedenen Editionen traten: Das Wörterbuch wird in Westdeutschland unter dem ursprünglichen Namen in weiteren Auflagen publiziert, im Jahr 1969 wird es überarbeitet, aus dem Namen verschwindet ‚Bühnen-‚ und es erscheint nur noch als „Deutsche Aussprache“. Im Jahr 1962 erschien die 1. Auflage des Duden-„Aussprachewörterbuchs“, in der DDR wurde seit dem Jahr 1964 das „Große Wörterbuch der deutschen Aussprache“ herausgegeben. In diesen Wörterbüchern wird das Konzept der Aussprachekodifikation von isolierten Wörtern und der reproduzierten Sprache (bei der Rezitation und beim Vorlesen) – also zwecks Theaterartikulation – verlassen, und die hochsprachliche Aussprache ist fortan auf die Verwendung im Sprachalltag orientiert.

Das Deutsche verdankt Siebs im Besonderen die Einführung des gegenwärtigen Aussprachesystems. Dieses besteht – mit bestimmten Ausnahmen – in niederdeutscher Aussprache hochdeutscher Laute; Siebs inspirierte sich mit der Sprache seiner norddeutschen Heimatumgebung. Während der Lautzustand des Hochdeutschen also aus dem Süden kommt, stammt die hochdeutsche Aussprache im Gegenteil aus dem Norden.